Und weg war. Einfach weg. Zu mir meinte er, er hätte es nötig, er müsse was erleben, alleine. Ohne irgendjemanden, ohne eine Person, mit der er wirklich Spaß haben könnte. Ohne mich. Er wollte einfach so alleine fahren, einfach so. Einfach so nach Asien. Ohne irgendwelche Angst.
Was er wohl gerade tut? Vielleicht schlendert er gerade durch die Gassen von Indien, durch alle Basare. Oder vielleicht badet er ja auch gerade im wunderschönen indischen Ozean, während er Cocktails schlürft. Bestimmt erlebt er gerade die aufregendsten Dinge mit vielen, neuen, asiatischen, Freunden. Ich versuchte mich abzulenken, sollte mich eigentlich auf die Uni vorbereiten, doch ich konnte jetzt nicht daran denken. Mich auf mein Jurastudium vorzubereiten, zu büffeln, würde ich nicht aushalten, vor allem nicht mit diesen Gedanken. Die ganzen Ferien saß ich hier schon. In meinem kleinen, stickigen Zimmer, in dem kaum noch Möbel sind, außer ein Fernseher und mein Bett. Und halt noch die ganzen Kartons, die unzähligen Umzugskartons waren schon in meiner neuen Wohnung, die extra nah an der Uni ist. So saß ich hier. Saß auf dem Boden, an mein Bett gelehnt. Vor mir meine Bücher. Das BGB und alle alle anderen Bücher, in denen alle Gesetzte und Rechte unseres Landes stehen. Ich ging die ganzen Ferien nicht raus, hatte keine Lust, keine Motivation. Fragt meine Mutter mich, ob ich mit einkaufen gehen wolle, sagte ich nein. Fragte sie mich, ob ich mit ihr shoppen gehen würde, sagte ich nein. Ich hatte keine Lust. Und das nur, weil er weg ist. Wir haben beide zusammen den Kindergarten beendet, die Grundschule und jetzt auch erst das Abitur gemacht. Ich war nie ohne ihn. Es gab immer ein „Wir“. Es war nicht eine Alicia und ein Kris. Wir waren immer zusammen, wir gegen den Rest der Welt. Doch jetzt war er weg. Nicht wir waren weg sondern er. Er hatte sich verabschiedet, ja, wir machten einen Filmeabend, schauten „Back to the Future“ schon das 100.Mal. Es war wirklich schön, doch es fühlte sich an wie ein Ende, wie ein richtiges Ende. Ein Ende der Freundschaft? Ich vermisse ihn, ich vermisse ihn wirklich. So sehr, dass ich schon kurz davor war, ein Flugticket nach Kambodscha zu kaufen, das Jurastudium gar nicht erst anzufangen. Doch denkt er auch so? Erinnert er sich auch an die schönen, tollen Momente und Erinnerungen? Es gibt so viele. Wie wir immer versucht haben, gemeinsam zu lernen, es jedoch nur zu Lachanfälle sowie zu weiteren Filmeabenden geführt hat, wie wir Tests schrieben ohne gelernt zu haben, und wir im Endeffekt 4er, 5er oder 6er bekamen. Oder wie wir uns nachts in den Park geschlichen haben und den Vollmond betrachtet haben. Das war unser Ding. Wir gingen durch wirklich schwierige Zeiten, erste Liebeskummer, Scheidung meiner Eltern und Verluste anderer Freunde. Doch wir hatten uns und wir konnten immer aufeinander zählen. Erinnert er sich nicht mehr an all diese Dinge? Vermisst er sie nicht? Ich schrieb ihm vor etwa 3 Tagen und fragte, wie es ihm ginge. Doch ich bekam noch immer keine Antwort. Vielleicht sollte ich es nochmal versuchen. Ich mein, so ein Asien Trip ist auch nicht ohne und er unternimmt bestimmt viel, aber ich vermisste ihn einfach so. Vielleicht würde er dann diesmal antworten. Ich öffnete mein MacBook, das ich von meinen Eltern geschenkt bekommen hatte und öffnete meine Email App. Ich checkte nochmal, ob er mir vielleicht doch geschrieben hatte, und entdeckte tatsächlich dann im Spamordner, wie auch immer das da gelandet ist, eine Mail von ihm, vor einer Stunde. Er schrieb, dass es ihm sehr gut ginge und ich schrieb ihm auch zurück. Wir schrieben die ganze Nacht, und er erzählte mir auch einiges von seinen Katastrophen. Es fühlte sich toll an, mit ihm zu schreiben, so vertraut. So wie unsere Freundschaft eben schon immer gewesen ist. Das vermisste ich sehr und ich hoffe, das alles so werden würde wie es immer war.
Nach diesem Abend ging ich das erste Mal wieder raus. Ich ging einkaufen mit meiner Mutter, traf mich mit anderen Freunden, ging feiern. Ich fühlte mich seit langem wieder toll. Toll und unbeschwert. Hauptsache toll.
(Basierend auf der Kurzgeschichte Hauptsache weit von Sybille Berg von 2001)