Die letzten Sonnenstrahlen verblassten langsam als er packte. Viel kam nicht zusammen, es sollten möglichst wenig Erinnerungen an das alles mitkommen. Ein schneller Abschied war das Einzige, was er noch brauchte. Es war das Beste für alle Beteiligten. Er warf den löchrigen Trinkbeutel, den er die ganze Zeit über geknetet hatte, in die Ecke seines Zeltes. Eine Nacht und Nebel Aktion, genauso wie damals. Für einen kleinen Moment grinste er. Es war kalt, merkte er, als er das Zelt verließ. Zu kalt. Er würde sich noch einen Mantel überziehen müssen. Kurzzeitig betrachtete Eragon das Medaillon seines Vaters. Er schloss seine Hand fest darum. Seit er sich dessen Energie ganz bedient hatte, ließ er jeden Tag ein bisschen von seiner eigenen hinein. Mittlerweile hatte sich wieder Einiges angesammelt. „Vielleicht kann ich dich irgendwann nochmal gebrauchen“, flüsterte er. „Eragon!“ Jemand hatte ihn angesprochen. Er sah sich um. Niemand zu sehen. Langsam fiel der Groschen. „Ja, Glaedr?“ Der Drache hatte ihn in Gedanken kontaktiert. „Ich möchte mit dir ein letztes Wort wechseln “. „Natürlich, was ist dein Begehr?“ „Ich werde hierbleiben, bei den anderen Drachen.“ Er hatte das schon erwartet. Alle konnten entscheiden, nur er nicht. „Du wirst nie vergessen werden, Eragon. Nicht von uns, noch von jemand anderem. Lebe wohl und lebe lang!“ „Danke.“ Eine einzelne Träne floss langsam von seiner Wange. Er verdankte ihnen so viel. Er brachte sich und seinen Beutel zur südlichen Seite des Lagers. Helle Lichter und frohes Gelächter waren zu hören. Leute lachten, brachten die letzten Waffen zurück und waren froh, dass der Krieg endlich vorbei war, was zu einem großen Teil Rohans Verdienst war, mit dem er sich am gestrigen Abend über dessen Geschichten und Erlebnisse erzählt hatte. Es war unglaublich, was sich alles geändert hatte, seit er das Ei der Drachendame, die ihn gerade verzweifelt versuchte anzusprechen, gefunden hatte. „Eragon, jetzt lass doch mit dir reden!“ Sie spürte genau, was in ihm vorging. „Dieses Land ist sowohl deine als auch meine Heimat. Glaube also nicht, für mich wäre es leichter.“ Er streichelte gedankenverloren ihren Kopf. Er antwortete: „Es war, Saphira, es war.“
Eragon schwang sein Bein über den Sattel. Als es ihre rechte Flanke berührte, erinnerte er sich daran, wie er sich einmal die Beine an ihren Schuppen aufgeschürft hatte, nachdem sie zu lang geflogen waren. Sie breitete langsam die Flügel aus. „Das war es nun“, sprach er leise. Als Saphiras Fuß die Erde verließ, auf der er sein gesamtes Leben gelebt, alle Emotion erlebt, alle Menschen, die ihm wichtig waren, getroffen und auch verloren hatte, zischte seine Vergangenheit wie in einem Traum an ihm vorbei und damit auch eine Vielzahl an Gefühlen. Er begann laut zu weinen, so wie er noch nie geweint hatte. Den Sinn der Aktion, nämlich niemandem seine Flugrichtung zu offenbaren, vergaß er aber nicht und brachte sich wieder zum Schweigen. Sie flogen höher, flogen weiter. Nach etwa zwei Stunden schwärzestem Nachtflug begann das Land zu verschwinden und ins Meer überzugehen. Er erhaschte noch einmal den Geist eines kleinen Vogels. Das letzte, was er jemals von Alingäa spüren würde, so glaubte er zumindest. Ein Dreitagesflug war für Saphira mittlerweile ein Kinderspiel. Sanft glitten ihr blauen Flügel im Wind und verschmolzen fast mit dem Meer. Die Wellen und die Seeluft waren immerhin ein wenig Trost. Er fragte sich, ob sie sich gerade über ihn unterhielten. Während einer kurzen Rast auf einem aus dem Wasser ragendem Felsen, um etwas zu essen, sah er nach den Eiern. Sie strahlten Wärme und Stärke aus, wie man sie von Drachen erwarten konnte. „Keine Sorge, ihnen wird schon nichts passieren.“ Saphira stupste ihn leicht von der Seite an und lächelte ihn ermunternd an. „Gut, lass uns weitermachen.“ Er war noch nicht in der passenden Stimmung, eine komplexe Unterhaltung zu führen. Der letzte Abschnitt der Reise, oder besser Abreise, war nicht sehr aufregend. Außer ein paar Wolken, einigen Fischen und verwirrten Vögeln, die beim Anblick von Saphira todesängstlich die Flucht ergriffen, begegnete ihnen niemand. Was sollte man auch erwarten? Da, endlich! Dort wo die Wellen an die hohen Wände aus Stein klatschten, sollte von nun an ihr Zuhause sein. Das Eiland war gerade groß genug für sie. Die Auskundschafter hatten Recht behalten. Dieser Ort war nahezu perfekt. Ein großes Steinatoll, das auch einige Unterstände bot, ein mittelgroßer Wald mit einem kleinen See.
Nach zwei Wochen der Eingewöhnung und des Trübsal Blasens, konnte man schon ein gemütliches Plätzchen in einer Höhle auf dem Atoll ausmachen. Dort waren sowohl die Brut als auch Eragon und Saphira vor unerwünschten Blicken und Regen sicher. Ganz in der Nähe des Waldes hatte Eragon angefangen einen kleinen Kräutergarten mithilfe der mitgebrachten Pflanzen zu errichten, was sich trotz Magie schwieriger herausstellte als gedacht, wie er schnell bemerkte. Am fünfzehnten Tag nach der Ankunft übernahm die Entdeckerlust seine Gedanken und er wagte sich tiefer ins Gehölz. Nach etwa einer Stunde fand er tatsächlich, wonach er gesucht hatte. Ein paar verwertbare Pilze. Unterwegs spürte er die lebendige, unberührte Natur in seinem Geist. Als ihm ein aufgewühltes angriffslustiges Wildschwein begegnete, beschloss er, kurz zu rasten und ein wenig zu trinken. Die Sonne warf warme Schatten unter die Baumkronen, die seicht im Wind rauschten. Innerhalb dieses Entspannungsmoments machte sich etwas bemerkbar. Er vernahm eine äußerst starke Aura von links. Seine Reflexe ließen ihn sofort aufstehen und sich kampfbereit in Richtung des Gebüsches stellen. Einige Augenblicke geschah nichts, außer dass eine Ameise dachte, seine Schuhe wären ein guter Übergangsort. Dann plötzlich, ohne Vorwarnung, sprang ein kleiner Hase von links an ihm vorbei. „Ich werde langsam noch verrückt“, lachte Eragon laut. Auf einmal fiel der Hase tot um. Er blickte entsetzt in die Richtung, aus der das verendete Tier gesprungen war. Das hieße dann nur, dass ein ...– ein lautes, dunkles Lachen erschallte nur etwa zwanzig Meter links von ihm. Vögel flatterten aus den Gipfeln der Bäume. Das einzige, was er wusste war, dass das, was er gehört hatte, nicht menschlich war. Dann trat aus dem Dickicht eine kleine runde Gestalt. Das Wort menschlich trotzte jeglicher Beschreibung, als er deren Gesicht erblickte. Kleine, gänzlich rote Augen, eine verkrümmte Nase und ein breiter schwarzer Mund zeichneten das alptraumhafte Gesicht des Schrats. Plötzlich bäumte sich dieser auf und wuchs auf das zehnfache seiner ursprünglichen Körpergröße heran, schwenkte seinen Oberkörper vor und zurück. Der halb erstarrte Eragon fing an, wieder klar zu denken. „Raus aus meinem Kopf, Schrat!“ Eragon war unvorsichtig geworden und hatte seine mentale Barriere vernachlässigt. So war es dem Wesen gelungen, seine Wahrnehmung zu verdrehen und ihn einzuschüchtern. Schneller als der Schrat hätte antworten können, wurde dieser aus Eragons Geist herauskatapultiert. Der Gegenschlag war so stark, dass die wahre Version des Wichts fast umfiel. „Damit hast du wohl nicht gerechnet!“ Voller Panik versuchte er wegzurennen, doch Eragon brachte ihn mit einem kleinen Schwenker seiner Magie zu Fall. Der Schrat begann zu schreien. Eragon beugte sich über ihn. „Verschwinde, oder das war´s mit dir!“ Eragon hatte sich geschworen, nie wieder einem Lebewesen zu schaden, außer vielleicht ein paar Pflanzen, die er zum Überleben benötigte. Er verfolgte den Schrat einen kleinen Teil seines Fluchtwegs, bis er einsah, dass der sich nicht wieder blicken lassen würde. Auf dem Rückweg von seinem kleinen Abenteuer erinnerte er sich an das Gespräch, dass er mit Glaedr geführt hatte, in dem es um die weit verbreitetste Form der Schrate ging: Die Waldschrate. „Ein Schrat, Eragon, ist nicht für seine Gefährlichkeit bekannt, sondern für seine Bosheit. Ein Schrat sucht sich unerfahrene, mental schwache Opfer. Er dringt nachts in Häuser ein und schleicht sich in die Träume der Menschen. Menschen, die schwer verkraftbare Ereignisse hinter sich haben, sind seine Hauptziele, da deren Träume am einfachsten für ihn zu kontrollieren sind. Sobald er eingedrungen ist, verändert er den Traum zum Schlechten und ergötzt sich am Leid der Träumenden. Er lebt in Wäldern und jagt dort mit seiner einfachen Magie.“ Wahrscheinlich war der Schrat angezogen von Saphira und ihm auf diese Insel gekommen. In ihrem bescheidenen Heim wartete schon Saphira, die auch erfolgreich auf ihrer Suche nach Essen gewesen war. „Na kleiner? Wie ist der Wald so?“, fragte sie ihn, als er die Pilze über einem magisch erzeugten Feuer briet. „Recht idyllisch. Sogar einem Waldschrat bin ich begegnet.“ Leicht besorgt fragte sie: „Und? Wie hat er sich so geschlagen?“ Eragon sah ihr ironisch ins Gesicht: „Er hat mich in kleinste Fetzen gerissen, wie du siehst.“ Dazu fiel er betont langsam mit schmerzerfülltem Gesichtsausdruck nach hinten. „Jetzt hör mal...“, kichernd schob sie ihren Kopf näher ans Feuer. Urplötzlich aber fuhr sie hoch und stieß sich dabei fast an der Decke. „Was ist?“, fragte Eragon leicht panisch. „Es kommt etwas auf uns zu!“
Wie sehr er diesen Satz vermisst hatte. Er rannte aus der Höhle, kippte dabei seinen leeren Teller Pilzsuppe um und blickte in den schwarzen Nachthimmel. Zunächst sah er nichts, doch dann erkannte er am Horizont etwas vertraut Grünes schimmern. Es gab nur einen Menschen, dem er ihren Aufenthaltsort mitgeteilt hatte. Es war noch nicht vorbei...
ausgedacht und verfasst von Litheo, im Juni 2020